Neandertal

„Die Haut ist der Spiegel der Seele“. Zwischen Schulalltag, Skateboardfahren, Heavy Metal samt gemeinsamem Betrinken mit den ebenso gelangweilten Freunden lebt Guido im öden, kleinen „Neandertal“ und kann es nicht erwarten endlich volljährig zu werden. Als seine Neurodermitis nach einem Familienstreit so schlimm wird, dass er ins Krankenhaus muss, beginnt er langsam damit, sowohl seine familiären Hintergründe als auch sich selbst zu hinterfragen.

Neandertal
  • Amazon Prime Video (Video-on-Demand)
  • Ingo Haeb Jan-Christoph Glaser (Regisseur)
  • Zielgruppen-Bewertung: Freigegeben ab 16 Jahren

Nachdem er in die WG des unkonventionellen Rudi zieht und dieser ihn mitnimmt auf seine nächtlichen Streifzüge, scheint für Guido zunächst endlich das langersehnte „wahre Leben“ zu beginnen. Aber zuvor müssen noch die alten Wunden aufgearbeitet werden – die Guido buchstäblich auf seiner Haut trägt.

Drehorte, Regie und Besetzung von „Neandertal“

Gedreht wurde der Film 2006 in einer ArteZDF Co-Produktion unter Anne Even (Der Räuber, Schlafkrankheit). Die gemeinsame Regie hatte Ingo Haeb (Schnitzel de Luxe, Es ist alles in Ordnung) und Jan-Christof Glaser (Detroit, 1. Mai, 66/67 – Fairplay war gestern), von denen auch das Drehbuch stammt, welches zum Teil auf die autobiografischen Erlebnisse von Haeb zurückgeht.

In den Hauptrollen spielen Jacob Matschenz (Die Welle) als Guido, Andreas Schmidt (Pigs will fly, Fleisch ist mein Gemüse) als Rudi, Johanna Gastdorf (Das Wunder von Bern, Sophie Scholl) als Guidos Mutter, Falk Rockstroh (Tatort, der Fall Collini) als Vater, sowie Tim Egloff als Martin, Luana Bellinghausen als Kathrin, und Weitere.

Der Soundtrack stammt von Jacob Ilja (Herr Lehmann, Du bist nicht allein), als Drehorte dienten unter Anderem Körn, Düsseldorf, sowie die Kleinstadt Erkath als „Neandertal„.

Handlung vom Film „Neandertal“

Wir schreiben das Jahr 1990: Zwischen Mauerfall samt Aufbruchstimmung der frühen Neunziger, versucht der 17 Jährige Guido im öden Neandertal, einem kleinen Ort irgendwo zwischen Düsseldorf und Wuppertal, erwachsen zu werden. Auch wenn ihn der Ort, passend benannt nach den Urzeitbewohnern, nervt und er sich mehr Abwechslung und Action wünscht, so läuft es doch eigentlich ganz gut für ihn: er hat eine hübsche Freundin, Kathrin, skatet mit seinem Freund Martin, betrinkt sich am Wochenende zu Heavy Metal mit den Freunden – ein ganz normaler Teenager, wäre da nicht ein Problem: Guido leidet an Neurodermitis.

Als diese nach einem Familienstreit außer Kontrolle gerät und Guido ins Krankenhaus muss, beginnt er langsam damit, die Ursachen seiner Krankheit zu hinterfragen. Handelt es sich hierbei um eine seelische Reaktion, die sich als Krankheit bemerkbar macht, und steckt eigentlich viel mehr dahinter? Er muss erkennen, dass die Fassade seines scheinbar normalen Familienlebens – gleichermaßen wie seine Haut – zunehmend am bröckeln ist: Der Vater stellt sich als notorischer Fremdgeher heraus, die Mutter ist resignierte Alkoholikerin, die sich mit der Untreue des Mannes abgefunden hat und den „Schmerz im Suff ertränkt“. Frustriert zieht Guido in die WG eines Bekannten, dem unkonventionellen Rudi, der einige Jahre älter ist und weder einer geregelten Arbeit nachgeht, noch interessiert er sich für gesellschaftliche Konventionen.

Von Familienchaos zu innerem Frieden

Zunächst sieht alles danach aus, als würde Guido sich vom dysfunktionalen Familienleben erholen, denn auch seine Hautkrankheit wird zunehmend besser. Er begleitet Rudi bei seinen nächtlichen Raubzügen, sie stehlen etwa ein Auto, und Guido fühlt das erste Mal so etwas wie Freiheit. Und auch sexuell probiert er sich aus, weiss aber nach wie vor im Grunde nicht, wohin er eigentlich gehört und wer er ist. Guido erkennt, dass seine Haut die inneren Konflikte widerspiegelt und er die Krankheit nur überwinden kann, indem er auch seine mangelnde Abgrenzung zur sozialen Umwelt überwinden lernt. Doch wie erreicht man das ohne die eigenen Sensibilität zu verlieren – die doch per se etwas gutes ist.

Wie also soll man damit umgehen, wie sich abgrenzen ohne zum Egoisten zu werden, gleichzeitig aber einen Weg finden, die vielen Eindrücke zu verarbeiten ohne selbst daran kaputtzugehen? Muss immer alles nach einem Schwarzweiß-Schema ablaufen? Auf seiner Reise muss Guido die eine oder andere Erkenntnis machen, und sich vor allem fragen, ob sich in Musik und Drogen, sein Ort der Nähe und Intimität, wo sonst die alltägliche Distanz herrscht, auf Dauer zum Glücklich werden ausreicht.

Filmkritik von „Neandertal“

Neandertal“ wurde zunächst 2006 uraufgeführt und lief anschließend wieder ab 2008 in den deutschen Kinos.Der Film geht mit seiner Darstellung der Neurodermitis ohne Angst vor „ekligen“ oder „schmutzigen“ Szenen und schafft es so auch, dass Thema Teenager-Angst ohne Kitsch, gleichzeitig aber auch mit dem nötigen Feingefühl darzustellen.

Haeb und Glaser gelang ein eher untypisches Coming-of-Age Drama, welches zwar auch die üblichen Themen beinhaltet – die Suche nach Identität und Freiheit, Sexualität und Familienprobleme, dabei die individuelle Suche nach „sich selbst“ zwischen Altruismus und Egoismus metaphorisch (Neurodermitis) darstellt: Auch seine Haut, sein Äußeres, ist sprichwörtlich am bröckeln und der Protagonist geht während des rund 90 minütigen Filmes durch mehrere „Stadien“.

Und auch die Wahl des Neandertals ist kein Zufall: so waren es die als eher sensibel und friedfertig bekannten Neandertaler, die am Ende vom deutlich aggressiveren Homo Sapiens verdrängt wurden, der hier bildlich für die kalte „Ellenbogengesellschaft“ steht, die trotz allseits verkündetem „Solidaritätsgedanken“ der frühen 90er als Mentalität der wiedervereinten Bundesrepublik dominiert.

Letzte Aktualisierung am 19.03.2024 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API

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